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Ab durch die Wolke

  • Autorenbild: L.
    L.
  • 19. Sept. 2018
  • 4 Min. Lesezeit
Miami, Florida

Der Puls auf hundertachtzig, oder höher. Der Kiefer am Zittern, die Zähne am Klappern. Zentimeter für Zentimeter schiebt er mich nach vorne. Ich bin an ihm festgemacht, habe somit keine Kontrolle über die Bewegungen. Je näher wir der Luke kommen, desto lauter zischt der Wind um die Ohren, desto härter drückt er sich an die Haut. Nun kann ich hinunterschauen. 4000 Meter unter mir sehe ich Felder, Wolken. Doch so richtig auf die Aussicht kann ich mich nicht konzentrieren. Zu gross ist meine innere Anspannung, die den ein oder anderen Schrei aus meinem Mund stosst. Ich fühle mich hilflos und frage mich, was ich hier eigentlich mache. In einem Flugzeug, angekettet an einen Fremdling. Meine Freundinnen neben mir, ebenfalls angeschnallt an unbekannte Männer. 15 Minuten zuvor haben wir uns die Hand geschüttelt und Namen ausgetauscht. Dann ging es auch schon ins Flugzeug. Hier wird nicht lange um den heissen Brei geredet. Schliesslich hatten wir vor Flugzeugeinstieg und Händeschütteln ein circa dreissig Seitiges Dokument unterschreiben müssen, in dem die Risiken und Nebenwirkungen ausführlich erklärt wurden. Mit einer Unterschrift war es da aber nicht getan. Jedes Statement, jede Erklärung, beinahe jedes Wort mussten wir mit unseren Initialen kennzeichnen. Wir unterzeichneten unser Todesurteil. Unseren Abschiedsbrief. Fast hätte ich wirklich ein paar Zeilen an meine Familie gewidmet. Man weiss ja nie. Ist dein Fallschirm nun der von abertausenden, der eben nicht aufgeht? Du pokerst mit dem Glück.

Die ersten fünf Seiten las ich mir sogar brav durch. Doch sie trugen nicht zu meinem Mut bei, sondern verursachten Zweifel. Also beschlossen wir drei Mädels, alles zu überspringen. Scheiss drauf! Jetzt oder nie! YOLO!

Nun also kniete ich dort oben und schrie laut ins Nichts.



Er sprang, und damit auch ich. Ein kribbelnder Bauch, zappelnde Beine. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Drei Sekunden später war der Schock aber vorbei, und ich konnte einfach nur geniessen.

Ich schaute mich um und nahm das unter mir anders wie zuvor wahr. Intensiver. Ich lachte, schrie, bekam dann keine Luft und presste meine Lippen schlussendlich aufeinander. Ich erkannte die Everglades, Felder, und ganz viele Wolken um mich herum. Wir flogen förmlich durch sie. Und das machte sich unangenehm, fast schmerzvoll bemerkbar. Wie tausend kleine Nadelstiche bohrten sie sich durch den Körper. Doch ich war zu sehr in Trance, um sie wahrzunehmen. Meine Konzentration war ganz allein auf die Schwerelosigkeit und auf die atemberaubende Aussicht gerichtet. Ich merkte gar nicht mehr, dass hinter mir jemand war.

Bis mein Flugbegleiter plötzlich meine Stirn anfasste und meinen Kopf nach hinten Riss. Er zwang mich aus meiner Welt und was sah ich? Einen grinsenden Fotografen, der mir zuwinkte und mir signalisierte, in die Kamera zu schauen und zu lächeln. Ziemlich uncool, dafür hatte ich den Fotografen nicht engagiert. Mir war nicht wichtig, Bilder zu bekommen, in denen ich in die Kamera schaue. Er sollte einfach stumm und unbemerkt dieses grandiose Erlebnis festhalten. Doch Fotograf und Skydiver hatten sich da wohl abgesprochen. Und so wurde mein Kopf im Sekundentakt nach hinten gerissen, damit ich in die Kamera schaue.


Mein Kopf wird nach hinten gerissen. Mein Skydiver scheint das ja ganz lustig zu finden, ich leider nicht.


Leider kann man nicht reden während des freien Falls. Ich musste es über mich ergehen lassen, wehrte mich trotzdem immer wieder, indem ich meinen Kopf dagegen drückte und nach unten schaute. Es war ein Kampf. Aber auch das hat mich nicht davon abgehalten, meinen Adrenalinrausch in vollen Zügen zu geniessen.

Nach unbestimmter Zeit spürte ich einen heftigen Ruck. Wir wurden stark nach oben gezogen, so fühlte es sich an. Der Fallschirm war offen! Was ein Glück. Nun begann der zweite, aufregende Part. „Welcome to my office“, hörte ich die dunkle Stimme hinter mir sagen. Der Drang nach Jubel kam auf, und ich ging ihm nach. Unglaublich!

Nun konnte ich meine Mädels in weiter Entfernung erkennen. Sie waren auch schon beim Fallschirmfliegen angelangt. Ich konnte nicht anders, als ununterbrochen zu lachen. Ich plauderte ein wenig mit meinem Skydiver, doch mir fehlten grösstenteils die Worte. Sehr ungewöhnlich für mich, muss man dazu sagen.

Er manövrierte uns nun gen Boden. Ein grosses, rundes Feld war das Ziel. Meine Mädels kamen vor mir an, ihre Skydiver waren wohl gerne schneller mit dem Fallschirm unterwegs. Ich war froh um die Gemütlichkeit meines Springers. Ich wollte gar nicht auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Doch irgendwann war es soweit. Kurz zuvor lockerte er die Gurte, mit denen ich an ihn geschnallt war. „Aaaaaah please don’t let me fall, pleaaaase!“ stoss ich panisch aus meinem Mund. Er beruhigte mich sofort, sagte es sei nötig für die Landung. Mir blieb nichts Anderes übrig, als ihm zu Vertrauen. Er gab mir also den Befehl, meine Beine stark anzuheben, um sie einen Moment später einfach auf dem Boden abzustellen. So einfach war das. Ich wurde innerhalb kürzester Zeit von Mann und Fallschirm befreit und rannte meinen Mädels entgegen, auch wenn das ganze etwas taumelig war. Wir umarmten uns, schrien, lachten. Es war überwältigend.

Hätte sich in weiter Ferne nicht ein Gewitter abgezeichnet, wären wir noch einmal gesprungen. Der zweite Sprung war halb so teuer. Doch die bedrohliche Wand kam immer näher, sodass wir uns ein Uber Richtung Miami Beach besorgten. Mein letztes Mal Skydiven war es aber allemal nicht!

Während der einen Stunde Fahrt weg vom Gewitter quetschte uns die verrückte Uber Fahrerin aus, und wir versuchten irgendwie, dieses Erlebnis zu beschreiben. So wie ich jetzt gerade. Doch es ist beinahe unmöglich. Überzeugt euch selbst und springt!

Mein erstes mal Skydiving, aber nicht mein letztes Mal!

¡Hasta luego! L.

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